Überarbeitet aufgrund neuer Erkenntnisse.
JETZT hat AUCH DIE SCHWEIZ ihren ersten Coronavirus-Fall.“ So oder ähnlich kommentierten verschiedene Fernsehanstalten Ende Februar die jüngsten Ereignisse rund um das Corona-Virus. Ich muss zugeben, dass mich die Schlagzeile – je nachdem, in welcher Tonalität der Moderator sie aussprach – etwas irritiert hat. Selbst wenn ich – selber Journalistin – vermutlich genauso versucht gewesen wäre zu titeln.
Aber Fakt ist, und hier kommt meine Reaktion als unbedarfte Bürgerin ins Spiel: Wüsste man nicht, was Corona ist, hätte man aufgrund der Tonalität meinen können, es handle sich um etwas Positives. Ja, die Schweiz sei geradezu froh darum, dass „Corona“ endlich bei uns angekommen ist. Dabei handelt es sich um einen viralen Infekt, der weltweit Todesopfer gefordert hat und weitere fordern wird.
Gefahr sorgt für Schlagzeilen
Was mag Pascal Strupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit BAG, über die Tonalität in der Anmoderation dieser Nachricht gedacht haben? Vermutlich wusste er sie richtig einzuordnen: Wann immer über eine unmittelbar bevorstehende Gefahr berichtet wird, sorgt dies für viel Aufmerksamkeit. Und dies weiss nicht nur der Direktor des BAG, sondern wissen insbesondere auch die Journalistinnen und Journalisten.
Dabei dürfte Strupler genauso wie meiner Berufsgilde im Zusammenhang mit der Berichterstattung des Virus bewusst sein: Der Grat einer ausgewogenen Berichterstattung ist schmal. Es gilt, genau den richtigen Ton zu treffen, ohne allzu viel Interpretations-Spielraum bezüglich des Inhalts zuzulassen.
- Kleinreden des Corona-Virus liegt nicht drin. Inzwischen ist klar: Covid-19 ist gefährlicher als die Grippe.
- Kleinreden geht nicht, solange das Thema einem Grossteil der Bevölkerung Angst macht, selbst wenn Studien zeigen, dass fast ausschliesslich Ältere sowie Menschen mit chronischen Krankheiten oder geschwächtem Immunsystem ernsthaft gefährdet sind.
- Kleinreden liegt aber auch deshalb nicht drin, weil niemand mit letzter Gewissheit voraussagen kann, wie sich das Virus weiterentwickeln wird. Wie gross der Schaden auf die Wirtschaft letztendlich sein wird. Und ob die Prognosen über den Verlauf stimmen.
- Grossreden geht aber auch nicht. Vor allem dann nicht, wenn dies, was prognostiziert wird, nicht eintrifft. Sonst sieht man sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, man könne Situationen nicht gut genug einschätzen und verunsichere die Bevölkerung unnötig.
Lizenz zur umfassenden Berichterstattung
Eines ist offensichtlich:: Das Corona-Virus und sein Verlauf ist für Journalisten ein gefundenes Fressen. Der Auftakt war weit weg im entfernten China. Wir konnten via Fernsehstationen und Zeitungsberichterstattung aus der Ferne zusehen, wie die Behörden in gewissen Grossstädten überfordert waren. Dann kam es näher – das Virus. Und die Angst der Bevölkerung wuchs. Und jetzt ist es in der Schweiz. Entsprechend mag der Satz aus Sicht eines Journalisten gleich doppelt Sinn machen: «Endlich ist das Corona-Virus da.» Übersetzt heisst dieser Satz nämlich auch: Die umfassende Berichterstattung der Journalisten war gerechtfertigt und nicht übertrieben.
Was die eigenartige Symbiose von Politikern, Behördenmitgliedern und Journalisten anbelangt, so wird sich am nicht ganz einfachen Verhältnis wenig ändern: Die Rollen sind fix verteilt. Behörden beschwichtigen und ärgern sich, falls zu sehr aufgebauscht wird oder der Inhalt in eine für sie nicht wünschenswerte Richtung geht. Die Medien stellen Fragen oder setzen Titel zum Thema, die die Behörden oftmals für wenig professionell, weil bisweilen „aufreisserisch“ halten. Es sind Titel, die die Journalisten wiederum für relevant und gerechtfertigt halten, weil sie der Ansicht sind, den eigentlichen Kern des Inhalts ungeschminkt auf den Punkt bringen. Und die Bevölkerung: Sie gibt vor, was von Interesse ist und was nicht. Sie entscheidet quasi darüber, ob Medien oder Journalisten, respektive deren Berichterstattung, noch eine Daseins-Berechtigung haben. Mit anderen Worten: Wir haben es in der Tendenz mit einer Abhängigkeit verschiedener Player zu tun, was je nach Thema zu komischen Auswüchsen führt.
Gelassenheit gewünscht
Je länger der Akut-Zustand dauert und umso bedrohlicher sich die Situation ausgestaltet, umso besser dürfte die Zusammenarbeit zwischen Medien, Politik und Behörden verlaufen, weil allen Seiten bewusst ist:
- Politik und Medien sind in der Berichterstattung aufeinander angewiesen.
- Jedes übertriebene Wort entfacht unnötig Panik.
- Je exakter die Berichterstattung, umso sicherer fühlen sich die Menschen, weil sie wissen, woran sie sind.
- Wir alle sitzen im selben Boot.
Bereits heute, Anfang März, ist es beinahe beeindruckend mitansehen, wie professionell sämtliche Länder ihre Medienkonferenzen abhalten. Weil jedes Land vom anderen lernt. Und weil allen bewusst ist, wie sensibel das Transportieren von Informationen in der Krise ist. Sobald es ums eigene Überleben und dasjenige der Sippe geht, handeln wir instinktiv, legen jedes Wort auf die Goldwaage, um einschätzen zu können, wann wir uns in Sicherheit bringen müssen.
Daher sei noch einmal gesagt: Medien und Politik sei Dank für ein möglichst gutes Zusammenspiel, eine umfassende Berichterstattung und realistische Einschätzung der Lage, so wie dies aktuell besser denn je gegeben zu sein scheint.