Hallo BAG: Wo bleibt der professionelle Reflex?!

Als Journalist musst du ein Gespür für eine Story entwickeln.“

Diesen Satz bekommen Journalisten zu Beginn ihrer Karriere  oft zu hören.

Ausgerechnet in der Kommunikationsabteilung des Bundesamtes für Gesundheit BAG habe ich dieses Sensorium in der vergangenen Woche vermisst.

Die Meldung: Erstmals sei ein unter 30-jähriger, gesunder Mann ohne Vorerkrankungen in der Schweiz an Covid-19 gestorben.

Schnell verbreitete sich die Nachricht.

Und dann dies: Das Bundesamt musste korrigieren. Der Mann sei zwar erkrankt, aber nicht an Sars-Cov-2 gestorben.

Wie es zu dieser Falsch-Nachricht kommen konnte, ist derzeit  in Schweizer Tageszeitungen nachzulesen.

Dabei schieben sich die Verantwortlichen gegenseitig die Schuld für die Panne zu. Inzwischen wurde mitgeteilt: Man wolle zwecks Verhinderung weiterer solcher Pannen die Digitalisierung verstärkt vorantreiben.

Der Intensivierung  von Digitalisierungsbestreben ist mit Sicherheit nichts entgegenzusetzen.

Doch packt diese Massnahme das Problem im konkreten Fall nicht beim Schopf.

Denn egal wer nun falsch gelesen, interpretiert oder geschrieben hat. Und egal wie unleserlich die Schrift  war:

Wer aus kommunikativer Sicht einen unter 30-Jährigen an Sars-Cov-2 Erkrankten für verstorben erklärt, MUSS wissen:  Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung und somit auch der Medien wird gross sein.

Entsprechend lohnt es sich, erst alle wichtigen Fragen zu diesem Fall zu klären, um nicht plötzlich mit abgesägten Hosen da zu stehen und für unnötige Beunruhigung zu sorgen.

Genau dieser Reflex scheint hier gefehlt zu haben.

Zwar scheint den Verantwortlichen klar gewesen zu sein: Diese Nachricht wird für Aufmerksamkeit sorgen.  Wobei man wohl insgeheim sogar darauf gehofft hat, um die etwas verloren gegangene Sensibilität für das Thema aufzufrischen.

Woran man aber offensichtlich und zu meinem Erstaunen nicht dachte, war: Die Nachricht könnte auf so viel Interesse stossen, dass es sinnvoll ist,  damit gut vorbereitet vor die Medien zu treten.

Oder anders gesagt, wer immer im BAG mit der Bearbeitung dieser  Medienanfrage betraut war, hätte  wissen müssen. Daraus ergibt sich ein Strauss an weiteren Fragen.

Fragen, die nicht nur Journalisten, sondern auch Lehrern, Eltern, junge Erwachsene interessieren würden.

Hätte man sich  also im Vorfeld der Publikation mit der Beantwortung solcherlei Fragen auseinandergesetzt, wäre es intern zu intensivierten Nachforschungen  gekommen. Und wäre vermutlich schnell die Einsicht gewachsen: An diesem Fall stimmt etwas nicht. Womit diese Panne hätte vermieden werden können.

Experten haben öfters eine Deformation professionell

Nun wissen wir alle:

Manchmal sehen wir vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.

Insbesondere wenn Medien ununterbrochen Druck machen, herrscht intern grosse Nervosität. Dies weiss ich als ehemaliger Kommunikationsleiterin eines Regierungsrates aus eigener Erfahrung. Zumal im konkreten Fall die Dauerbelastung enorm ist.

Genau hierfür gibt es Kommunikationskonzepte, die dafür sorgen, dass solcherlei Pannen trotzdem nicht passieren sollten.

Weil eine der wichtigsten zu beantwortenden Fragen in der Krisenkommunikation lautet:

Wie hoch ist das Interesse in der Aussenwahrnehmung?

Innen- und Aussenperspektive sind oftmals nicht deckungsgleich.

Gerade deswegen ist es wichtig, Mitteilungen von Personen gegenchecken zu lassen, die keine oder wenig Ahnung von der Materie haben. Denn hier ist das Sensorium meist problemlos intakt.

Experten mit langjähriger Erfahrung kommt dieser Reflex bisweilen abhanden. In der Fachsprache heisst es dann: Man müsse von einer Deformation professionell ausgehen.

Von daher, liebes Bundesamt für Gesundheit:

Manchmal ist es durchaus sinnvoll, einen unerfahrenen Fakten-Checker mit an Bord zu holen. Einer, der ausschliesslich die Aufgabe wahrnimmt, die Aussenperspektive einzunehmen.

Im konkreten Fall wäre die Einstellung einer solchen Person vermutlich günstiger gekommen als der Image-Schaden, der nun angerichtet ist. Und der dazu führen könnte, dass man dem BAG dann, wenn es wirklich darauf ankommt, nicht mehr glauben wird.

Herzlich
Simone Hinnen Wolf