Hallo Welt: War diese Medienberichterstattung schlecht




Es ist paradox. Medienunternehmen kämpfen dieser Tage mehr denn je ums Überleben. Dabei war das Bedürfnis nach Information in den letzten Jahren   vermutlich nie so gross wie dieser Tage.

Rund 1.2 Milliarden Beiträge haben wir – Stand 13. Mai  – auf Google zum Corona-Virus zu lesen bekommen. 1.2 Milliarden Beiträge über Vorsichtsmassnahmen, Symptome, Risiken, Ausbreitungsgeschwindigkeit, Lockdowns und Sonderwege, Artikel mit und ohne Statistik sowie Fake-News.

Es sind Berichte,  die Angst machen, solche, die Mut machen, solche die Fragen klären und solche die Fakten verdrehen.

Und irgendwo in diesem ganzen Nachrichten-Dschungel müssen sich die Medien behaupten.

Als Expat und freischaffende Korrespondentin in Stockholm war auch ich  auf all diese Informationen angewiesen. Sie helfen und halfen mir beim Einordnen der Situation in der Schweiz, in Schweden und in der Welt.

Bilder, die wir nie mehr weg bringen

Dabei bekam ich einmal mehr hautnah mit, wie stark Bilder wirken. Beispielsweise jene von den belebten Cafés in Stockholm von Mitte März. Die Bilder haben sich derart stark in unser Gedächtnis eingebrannt, dass die Schweden vermutlich noch jahrelang als das relaxte Volk in der Krise angesehen werden. Und dies, obschon mir ein paar Wochen später die leeren Strassen und der hohe Discount  in Dutzenden von Läden in Stockholms Innenstadt  mehr Angst eingejagt haben als die Bilder mit den primär jungen Menschen in den Restaurants.

Was ist nun objektiv? Das eine Bild oder das andere? Oder beide?

Genau wie alle anderen war auch ich persönlich betroffen von der Krise. Es wäre mir allerdings nie in den Sinn gekommen, alles, was ich an Berichterstattung zu Covid-19 las, als bare Münze und allgemeingültige Wahrheit zu verarbeiten.

Vielmehr gaben mir die verschiedenen News einen Einblick über das Geschehen Dies half mir, das Virus für mich und unsere persönliche familiäre Situation in Stockholm einzuordnen.

Was ist schon objektiv

Mir war stets klar: Objektiv ist meine Sicht der Dinge nicht. Es ist vielmehr meine mir zurecht gelegte Wahrheit aufgrund meiner Erlebnisse, zurückliegenden und aktuellen Erfahrungen sowie den Nachrichtenkanälen, die ich konsumierte.

Ich meine: Wir alle, die wir mündige Bürger sind, sollten in der Lage sein, Medienberichterstattung auf diese Weise einzuordnen. Wir sollten mehr denn je dazu fähig sein, Wichtiges von Unwichtigem und der Wahrheit eher Entsprechendes von Falsch-Meldungen zu unterscheiden. Und falls nicht, so ist es dringend an der Zeit, dass wenigsten unsere Kinder den richtigen Umgang damit lernen.

Aus oben genannten Gründen kann ich wenig mit der negativen Kritik vieler Leute an der aktuellen Medienberichterstattung anfangen. „Zu viel Einheitsbrei, keine differenzierte Berichterstattung, dünne Zeitung, zu viel Pauschalisieren, zu behördenfreundlich, zu wenig kritisch“, heisst es allenthalben.

Ich bin überzeugt: Die allermeisten Journalisten haben versucht, dem immensen Hunger nach Objektivität zu begegnen und den Wissensdurst grösstmöglich zufriedenzustellen.

Entsprechend winde ich allen Journalisten ein Kränzchen, die dieser Tage trotz Kurzarbeit, einbrechender Inseratezahlen, Furcht vor Jobabbau und kursierendem Corona-Virus versucht haben, im Dschungel von Fake-News, sich widersprechender Experten und einer lange Zeit komplexen Weltwetterstimmung möglichst objektive Berichterstattung zu betreiben.

Also, liebe Berufskollegen: Ihr seid – auch – meine Helden dieser Krise.

Noch nie

  1. musstet ihr gegen so viele  Berichterstatter anschreiben.
  2.  mussten Medien selber aufgrund einbrechender Inseratezahlen Kurzarbeit anmelden und gleichzeitig war der Anspruch der Leserinnen und Leser nach gehaltvoller, gut recherchierter Berichterstattung so gross.
  3. wurden innert so kurzer Zeit so viele Artikel zu ein und demselben Thema geschrieben.
  4.  wurden von Lesern in dieser geballten Form zu demselben Thema dieselben Fragen gestellt und Antworten erwartet – Exklusivität und kritische Einordnung inbegriffen.
  5. war es so schwierig, 100-prozentige Fakten zu erhalten, nachdem selbst Experten im Dunkel tappten oder sich widersprachen.
  6. waren die Medien in diesem Ausmass ein so bedeutendes Rädchen im Umgang mit einer Krise, wurde in schwierigen Stunden jedes Wort von Reportern auf die Goldwaage gelegt, hätte eine zu forsche, lasche, kritische Berichterstattung zur Überreaktionen in der Bevölkerung führen können.

Ich finde es wichtig und richtig, dass nun der Alltag in der Medienbranche zurückkehrt.

Dass aber viele Medien gerade jetzt, wo das Interesse vieler Bürgerinnen und Bürger für Qualitätsjournalismus neu erwacht, derart aufs Portemonnaie schielen müssen, ist tragisch.

Guter Journalismus hat seinen Preis

Gerade jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um den Medien wieder die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdient haben. Journalismus ist ein Handwerk wie jedes andere. Und ein solches will nicht nur gelernt sein, sondern es hat auch seinen Preis.

Ich jedenfalls bin gerne bereit, weiterhin für Qualitätsjournalismus zu bezahlen- in  guten wie in schwierigen Zeiten.

Herzlichst

Simone Hinnen Wolf